|
Theatersaison am Goethe-Gymnasium eröffnet
Brilliante Komödie um einen untoten Selbstmörder
Denn die Komödie des deutschstämmigen Russen Nikolai Erdmann (1902-1970) spielt im sowjetischen Russland der 30er Jahre, und die lange Reihe der Unzufriedenen braucht ein Sprachrohr, dem die Geheimpolizei nichts anhaben kann - "Sie sterben ja sowieso". Semjon jedoch, zunächst noch berauscht von der ungewohnten Rolle des tragischen Helden, die ihm aufgedrängt wird, bekommt mit Herannahen seiner Todesstunde zunehmend Muffensausen, und die Sache droht vollends aus dem Ruder zu laufen...
Josef Abasszada spielt diesen Todeskandidaten wider Willen als empfindsamen Choleriker mit großer Bandbreite, und Marie Coring als Ehefrau Maria und Josefina Engel als Schwiegermutter stehen ihm in nichts nach. Da fliegt schon mal im Streit ein Satz Geschirr durch die Luft - als aber die Frauen von Semjons Todesplan erfahren, hebt ein Heulen und Wehklagen an, das nur von der Sorge um modische Trauerkleidung kurz unterbrochen wird. Doch wir haben es hier mit einem echten Ensemblestück zu tun, und Einzelne hervorzuheben scheint angesichts der beachtlichen Kollektivleistung fast ein Frevel; stellvertretend seien nur Andrej Molcanov und Inga Reimann genannt als intellektuelle Drahtzieher der Politintrige, Mariann Yar und Jaqueline Trigo Pires als konkurrierende Liebhaberinnen mit Sexappeal ("Erschießen Sie sich um meinetwillen!“) und Onur Onaran als schlitzohriger Nachbar, der sich ungefragt zum Agenten des Todeskandidaten aufspielt und einen schwunghaften Handel mit Zugangsrechten beginnt. Und auch einen echten Kommunisten gibt es, einen grimmigen Außenseiter, der zwar das Gezerre ums Selbstmordmotiv nicht mitmacht, aber vom Sozialismus auch nicht mehr erwartet, als dass es allen so schlecht gehen möge wie ihm: Annie Berend wirkt heller und schneller als diese Rolle, gewinnt ihr aber durchaus einen Hauch herber Aufschneiderei und Männlichkeit ab.
|